Sonntag, 3. März 2013

Ich frag einmal: Nur Lebensmittelskandal?

Ich frage mich, warum ich so lange die Augen verschlossen hielt. Wollte oder konnte ich nicht sehen, was sich da vor meiner Nase entwickelte, und das ich nach Leibeskräften mitentwickelt habe?

Ich kaufe Lebensmittel beim Discounter (und ich zähle Naturkostketten wie Alnatura oder Denree dazu), denn ich kann die Preise für die Lebensmittel, die direkt von den Erzeugern auf Märkten verkauft werden, nicht mehr bezahlen. Also begebe ich mich freiwillig in die Gefahr, Minderwertiges oder Manipuliertes einzukaufen. Ich hätte mir schon einmal viel früher die Frage stellen können: Warum können die Waren beim Discounter um so viel günstiger (billiger) sein?

Die Mechanismen sind mir ja seit Jahrzehnten bekannt. Unsere Wirtschaft funktioniert nur über Wachstum. Ganz am Anfang dieses Wachstums steht ein ungesättigter Markt. Man hat ein Produkt, sagen wir Erdbeerjoghurt. Die Leute kaufen den Erdbeerjoghurt. Unsere Wirtschaft wächst. Dann kommt der Tag, wo jeder einen Erdbeerjoghurt verzehrt. Das Wachstum stagniert. Also erhöhen wir die Preise. Irgendwann merken wir, dass der Absatz stagniert, weil der Preis zu hoch geworden ist. Da wir aber wachsen müssen, entlassen wir ein paar Arbeiter, um die Kosten zu senken. Das erzeugt zwar kein reales Wachstum, aber es erhöht den Gewinn und lässt das Bruttosozialprodukt (an dem sich unser Wachstum misst) steigen. Irgendwann stellen wir dann fest, dass wir mit dem weniger an Personal nicht mehr die nötige Menge produzieren können und ! unsere entlassenen Arbeiter gar keinen Erdbeerjoghurt mehr essen, da sie es sich nicht mehr leisten können. Also verhökern wir wir unsere überschüssige Ware nun auch noch an Handelsketten. Die wiederum drücken den Preis. Da sich das Ganze immer mehr zu einem Nullsummenspiel entwickelt, müssen wir neue Einsparpotentiale erschließen. So kommen wir dann darauf, unseren "hochwertigen" Lebensmitteln Dinge (Pferdefleisch, Sägespäne etc.) beizumischen, die aufgrund ihres geringeren Preises kostenreduzierend wirken, sprich Wachstum erzeugen.

So nehme ich billigend in Kauf, dass wenn ich billig fliege, Flugzeuge mit minderwertigeren Teilen gebaut werden, dass in der Lasagne Pferdefleisch und Sägespäne sind, dass meine Wurst Schlachtabfälle und Gammelfleisch enthält, dass mein Erdbeerjoghurt gar keine Erdbeeren mehr enthält, dass mein Wein und mein Bier gepanscht sind ... usw.

Meine Entrüstung über diese Zustände ist so ungemein scheinheilig. Denn zu allem Überfluss lebe ich auch noch in einem Haushalt, in dem Geld in Wertpapieren angelegt ist, und die Erwartung an die Rendite nahezu grenzenlos ist. Das Einzige, was mich dabei noch über lange Zeit beruhigt hat, ist, das ich ein "kleiner Fisch" (?????)bin.

Ich komme an dieser Stelle zu dem Schluss: "Kehre um!" Aber wie? Ich lebe in ein einem System (und unterhalte es aktiv), das zum Untergang verurteilt ist, wenn es nicht wächst. Das Wachstum hat aber neben den oben beschrieben Folgen noch andere viel verheerendere Auswirkungen ... die Zerstörung der für den Menschen erträglichen Welt. Und das Bittere ist, dass die, die diese lebenswerte Welt retten wollen, auf ganzer Linie versagen ... unter anderen ich!

Hier ein Link, den ich auch gerade erst gefunden und noch nicht vollständig erkundet habe:

http://www.futurzwei.org/#index

Und für ganz Tapfere empfehle ich das Interview mit Harald Welzer in der "Wochenende" - Beilage der Süddeutschen Zeitung vom 2./3.März.

Über eigene Erfahrungen und/oder Kritik würde ich mich freuen.